Kritik an der ECDL im Speziellen und im Allgemeinen 1. Einleitung Während weitgehend ausser Frage zu stehen scheint, dass grundsätzlicher Umgang mit Computern und neuen Medien heutzutage eine unumgängliche Kulturkunst ist, bleibt die Art von Vermittlung und allfälliger Zertfizierung umso unsicherer. Die ECDL hat hier soziologisch gesehen eine Nische, die im wesentlichen auf bestimmte Berufssparten ausgerichtet und lerntheoretisch stark behavioristisch orientiert ist; offenbar ist das Modell so ausgerichtet, dass es breiten Anklang auf wirtschaftlicher und politischer Ebene findet, und es versucht natuerlich, moeglichst viele Aspekte zu ber\"ucksichtigen, ohne aber auf allzu viele Details einzugehen. An Kritikpunkten lassen sich finanzielle, inhaltliche und didaktische finden, an Hand derer jedEr selbst entscheiden kann, ob diese Ausbildung f\"ur sie oder ihn sinnvoll ist. Quiz: Preis für ECDL-Prüfung (alle Teile) 1. ca. EUR 100 2. ca. EUR 250 (richtig: 235.5, Berechnung siehe unten) 3. ca. EUR 500 für grundsätzliche Computerfertigkeiten Preis ermässigte Skillcard EUR 43 ermässigte Pr\"ufungen EUR 11 * 7 = 77 ermässigte Summe: 120 f\"ur ECDL Normalpreis: EUR 50+7*26.50 = 235.5 Kurspaket für alle 7 ECDL Core Module kostet zwischen EUR 700,- und EUR 2180,- Die Module sind, wie bereits angedeutet, auf bürozentrierte Arbeitsplätze mit den entsprechenden Aufgaben konzentriert, und eine Methodenvielfalt in der Bewältigung der Aufgaben ist curricular nicht direkt vorgesehen. Besonders die Module 2 (Betriebssystem) und 3 - 7 (Standardapplikationen) sind weitgehend auf die Bearbeitung mit einer graphischen BenutzerInnenschnittstelle (Graphical User Interface, GUI) ausgerichtet, Alternativen werden nicht aufgezeigt. 2. Allgemeine GUI-Probleme/-Kritik Durch die aufwendige Interaktion ist die Arbeit über das Netzwerk unter Umständen nur eingeschränkt möglich, im Gegensatz zu scriptbaren Textinterfaces (Command Line Interface, CLI) ist die automatisierte Bearbeitung nur mit zusätzlichem Aufwand möglich. Die Intuitivität soll hier als Argument nicht gelten, da ein GUI einfache Dinge einfach, komplizierte aber umso schwieriger bzw unmöglich macht, ein bekanntes Problem ist etwa der inzwischen in vielen GUI-Systemen bekannte "Start-Button", der eigentlich zum Öffnen einer Menüstruktur dient. Die unterschiedlichen Varianten von GUIs (etwa bezüglich pull-down, pop-up-Menüs, der Lokalisierung bestimmter Optionen und wiederkehrender Befehle in diversen Menü- und Fensterstrukturen) zeigt, dass die Intuitivität eine scheinbare ist - der/die BenutzerIn wird möglicherweise mehr zum Herumspielen angeregt, das ist aber eine Frage der Rezeption/Empfänglichkeit, und Objektive Standards kommen nicht zum Tragen, jedes GUI hat andere Eigenheiten. Ein gutes Hilfesystem ist für alle Interfaces unumgaänglich, auch hier ist eine graphische Variante mit weniger Aufwand verbunden, da entweder Umschreibungen für graphische Elemente gefunden oder Bilder angefertigt werden müssen. Auch für Menschen mit Sehbehinderungen gilt es als problematischer, sich in einem zweidimensionalen GUI zurechtzufinden, als ein Textinterface etwa mit einer Braille-Zeile oder einem Sprachsynthesizer (TTS, Text-to-Speech) zu nutzen. 3. Allgemeine systematische Kritik 3.1. Probleme mit Office-Applikationen und Workalikes In diesem Themenkomplex bestehen abgesehen von der bereits erläuterten GUI-Problematik vor allem zwei Problemkreise: die binären, von der HerstellerInnenfirma abhängigen Dateiformate auf der einen Seite und der Preis auf der anderen Seite. Durch die Beschränkung des Dateiformats (und indirekt damit der zur Verfügung stehenden Produkteigenschaften) ist ein Dokument vorderhand nur mit den Produkten einer einzigen Firma bearbeitbar. Obschon etwa für die Bearbeitung der meisten von den Produkten der in den ECDL-Kursen hauptsächlich verwendeten Software auch (kommerzielle und freie/Open Source) Alternativen existieren, sind diese nur durch Reverse Engineering möglich. Diese Praxis ist erstens rechtlich nicht zur Gänze abgesichert, da eine Firma rechtlichen Anspruch auf das geistige Eigentum an der Schnittstelle oder dem Dateiformat erheben und damit die Konkurrenz aushebeln könnte, zweitens die Implementationen anderer Produkte naturgemäß immer nachhinken und drittens eine Bearbeitung mit Standard-Textwerkzeugen (sed, awk, grep, perl ...) nicht möglich ist. Ferner könnten Preis und die Festlegung auf ein bestimmtes System hier zur Entscheidungshilfe herangezogen werden, der jeweilige Schulungsaufwand und die Geamtkosten (total cost of ownership) wären für ein Produkt bzw für eine ganze Palette zu berücksichtigen; je nach Lernkurve könnten hier unterschiedliche Ergebnisse zustande kommen. wie Angewiesenheit auf eine Firma f\"ur Updates, Features) bzw Nachbau (Patentprobleme, Reverse Engineering, Wartezeit, ...) keine automatische bearbeitung mit Standard-Textutilities m\"oglich Festlegung auf ein bestimmtes System mit typischen Problemen, 3.2 Programmierkenntnisse (Scripting/Automatisierung) In ECDL Basic sind keine wie immer gearteten Programmierkenntnisse vorgesehen. Ob es sinnvoll ist, bei den ersten Schritten mit dem Computer tiefergehende diesbezügliche Kenntnisse zu vermitteln, sie dahingestellt, aber zumindest einfaches Scripting (shellscript, batch-datei, ...) erscheint sinnvoll, um repetitive Aufgaben einfach und effizient bewältigen zu können. 3.3 Behavioristische Unterweisung vs Problemlösungskompetenz Ähnlich dem vorhergehenden Punkt ist es natürlich fraglich, ob eigenständiges Denken bei der Bewältigung der Aufgaben sinnvoll ist, für welche die ECLD qualifiziert, aber das wäre ein zirkuläres Argument. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die behavioristischen Strategien beim Wissenserwerb auf das notwendige Minimum zu beschränken sind, im Optimalfall nur die unintuitiven Grundbegriffe wie Tastaturbelegung oder andere historisch begründete Konventionen, die nicht logisch erklär- oder hherleitbar sind. Die Forderung muss hier also lauten, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, Zugang zu Dokumentation und den Mut zur Lücke zu vermitteln und die eigenständige Erarbeitung von Lösungen zu fördern, anstatt eingelernte Mikroschritte abzuprüfen und immer die gleichen Arbeitsaufgaben zu trainieren. Auch verwirrende oder irreführende Fragen sind didaktisch abzulehnen, aus dem Beispieltext: 7. Wie groß kann ein Textverarbeitungsdokument sein, das nur wenige Textzeilen enthält? 10 Bytes 10 kB 10 MB 10 GB Die erwartete Antwort (b) ist nicht unbedingt die einzige mögliche: eine kurze Spickzetteldatei mit einem BenutzerInnennamen und Passwort koennte durchaus auf 10 Zeichen kommen, bei den Office-Applikationen koennen besonders nach aufwendigen Bearbeitungsvorgängen die Dokumente um ein Vielfaches grösser sein als der Textinhalt (Löschungen, Bearbeitungshistorie, ...) - nur die letzte Antwortmöglichkeit ist vielleicht ein wenig extrem, aber nicht unmöglich. Von einer subjektwissenschaftlichen Perspektive ist das defensive Lernen nach dem strengen Curriculum der ECDL ohnehin abzulehnen - Interesse an der Informatik, Freude über die Fähigkeit, Wissen expansiv zu erarbeiten und eine Lernproblematik zu entickeln sollten hier im Vordergrund stehen, Motivation, Vorbereitung, Test-Setup sind aber (wie in der Schule, Fahrschule etc) auf logische Spitzfindigkeiten im Verstehen der Multiple-Choice-Fragen, stereotype Antworten und einen vorhersehbaren Fragenkatalog ausgelegt. Es ist daher eine schlechte Behaltenskurve und geringe Langzeitwirkung der Kurse und Prüfungen zu postulieren. 4. Reaktionen auf Kritik Auf sachliche Kritik wird von Seiten der TrägerInnengesellschaft durchaus reagiert, Tests für Menschen mit besonderen Anforderungen sind etwa bereits implementiert, ebenso Lehrgänge und Examina mit Open Source Produkten, wobei hier ebenfalls GUI-lastige Software im Vordergrund steht: nicht die unabhängige Bewältigung der Aufgaben zählt, sondern die Reproduktion eingelernter Arbeitsabläufe und Mausbewegungen. 5. Beispiele Modul 1 28. Welche Erklärung beschreibt einen Vorteil von elektronischen Dokumenten? Digitale Dokumente verringern den Papierbedarf Digitale Dokumente müssen regelmäßig gesichert werden Digitale Dokumente benötigen Schutz vor nicht berechtigtem Zugriff Digitale Dokumente können versehentlich gelöscht werden Modul 1 12. Was gehört zu den Anwendungsprogrammen? Betriebssystem Gerätetreiber Kommunikationsprotokoll Tabellenkalkulationsprogramm Beispiele Modul 2 7. Was trifft auf eine komprimierte Datei zu? Sie wird leichter defekt als nicht komprimierte Dateien Sie benötigt weniger Speicherplatz Ihr Dateiname wird vom Betriebssystem fett hervorgehoben Sie kann nicht über das Internet versendet werden 6. Evaluierung JedEr kann natürlich nur für sich selbst entscheiden, ob das starre, für bestimmte Bürotätigkeiten ausgelegte Curriculum der ECDL notwendig, sinnvoll und ausreichend sind oder ob zusätzlich oder anstatt dessen autodidaktische Massnahmen sinnvoller sind, ob eine entsprechende Schule/Kolleg besser geeignet ist und welchen Wert eine Zertfizierung für die angestrebte Anwendung des zur Diskussion stehenden Wissens über und Flüssigkeit im Umgang mit der Plattform der Wahl hat. "Quiz": Ist die angestrebte Tätigkeit eher auf fest vorgegebene, wiederkehrende Aufgaben oder auf Problemlösungskompetenz ausgerichtet? fest vorgegebene Aufgaben -> ECDL eher sinnvoll Problemlösungskompetenz -> autodidaktische und/oder vertiefende Massnahmen Wird eine Fixierung auf eine Plattform angestrebt oder steht Allgemeinwissen und Selbständigkeit im Umgang mit beliebigen Plattformen im Vordergrund? Fixierung (vereinfachende Betrachtungsweise) -> ECDL eher sinnvoll Selbständigkeit/Allgemeinwissen -> eher theoretischerer und vertiefender Zugang Lesen Sie lieber Comics als Belletristik/Sachbücher? ja -> GUI-basierte ECDL könnte Ihnen relevante Kenntnisse adäquat vermitteln nein -> sie sollten in Erwägung ziehen, die etwas steilere Lernkurve eines Textinterface allenfalls auch nebenbei zu bewältigen, um die Vorteile nutzen zu können ;)